Über 313 Millionen Menschen verunfallen jedes Jahr bei der Arbeit. Tödlich verunglücken täglich 6.400 Arbeitnehmer – das entspricht etwa 2,3 Millionen Toten jedes Jahr. Ganz oben auf der weltweiten Rangliste der Gesundheitsprobleme stehen jobbedingte Unfälle und Krankheiten, sagte Generalsekretär der Internationalen Arbeitsorganisation ILO Guy Ryder zum Welttag für Sicherheit und Gesundheit.
Arbeitsunfälle und Krankheiten, die in direktem Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen:
Laut der International Labor Organization werden jedes Jahr weltweit 270 Millionen Beschäftigte Opfer von Unfällen an ihren Arbeitsplätzen. 160 Millionen Menschen erkranken auf Grund ihrer beruflichen Tätigkeit. 2, 2 Millionen Menschen sterben durch Arbeitsunfälle und Berufskrankheit, 350 000 davon an ihrem Arbeitsplatz. (Vergleich Deutschland: 637 tödliche Unfälle in 2020)
Die Zahlen belegen eindeutig, dass dem Arbeits- und Gesundheitsschutz in anderen Regionen und Kulturen kein so hoher Stellenwert wie in Deutschland beigemessen wird. Wie wir aus den vorigen Kapiteln bereits wissen, werden aber künftig noch mehr Arbeitsmigranten aus diesen, in der Abbildung beschriebenen, Ländern zu uns kommen. Dies zeigt eindeutig die Notwendigkeit eines interkulturellen Arbeits- und Gesundheitsschutz in unseren Unternehmen. Diese Notwendigkeit erkannt 2020 auch die Unfallkasse Nordrhein-Westfalen und hat dazu eine Expertise gestartet. Teil dieser Expertise war das Institut IGM, da wir derzeit das einzige Institut sind, die eine fachliche Weiterbildung für interkulturellen Arbeits- und Gesundheitsschutz für Arbeitsschutzexperten und Führungskräfte anbietet.
Ich möchte Ihnen interkulturellen Arbeits- und Gesundheitsschutz noch einmal etwas anders erklären, und zwar anhand des PERMA-Models nach Martin Seligman.
Das PERMA Modell im Kontext interkulturellen Arbeits- und Gesundheitsschutz:
P wie Positive Emotionen (positive Emotionen)
Arbeits- und Gesundheitsschutz funktioniert nur, wenn alle mitmachen! Das Thema wird in manchen Branchen und in KMUs noch falsch eingeschätzt oder unterschätzt. D.h., hier fehlt es noch an der Bewusstseinsbildung. Der Führung kommt eine zentrale Verantwortung (Wahrung der Sorgfaltspflichten, Erfüllung von gesetzlichen Anforderungen) und Vorbildfunktion gegenüber Mitarbeitern) zu.
Im Rahmen der Führung zählen das Festlegen der entsprechenden Unternehmenspolitik, die innerbetriebliche Kommunikation, das Festlegen von Verantwortlichkeiten zu den zentralen Faktoren einer erfolgreichen Umsetzung. Mit der Festlegung von Verantwortlichkeiten/Beauftragten sollten auch die Ressourcen für die gezielte Kompetenzentwicklung bereitgestellt werden, denn fehlendes Fachwissen, fehlende Mittel und Zeitmangel werden als Ursachen für die fehlende Auseinandersetzung mit dem betrieblichen Arbeitssicherheits- und Gesundheitsschutz angeführt. Als Führungskraft oder Verantwortlicher dürfen Sie sich Frage stellen, wie kann ich alle Mitarbeitenden für Arbeits- und Gesundheitsschutz begeistern? Das ist gar nicht so schwer, wie es im ersten Moment klingen mag.
Es geht eigentlich dabei nur um so Dinge wie Achtsamkeit, Wertschätzung und Dankbarkeit.
Beispiel:
- Achtsamkteit t z.B. gegenüber meinen Kolleg:innen
- Wertschätzung z.B. gegenüber Mensch und Material
- Dankbarkeit z.B. für den Arbeitsplatz
E wie Engagement
„Die Gesundheit und Sicherheit unserer Mitarbeitenden hat für uns höchste Priorität.“
Solche und ähnliche Sätze finden wir auf fast jeder Internetseite von Organisationen und Einrichtungen. Ich bin davon überzeugt, dass solche Sätze durchaus ernst gemeint sind. aber wie schaffen wir es tatsächlich, dass sich alle Mitarbeiter:innen für den Arbeitsschutz engagieren? Engagement ist die Triebfeder für erfolgreiches Schaffen und gleichzeitig das Ergebnis von Glück. Wer etwas tut, was er mag, hängt sich automatisch tiefer hinein. Die Zeit vergeht wie im Fluge und am Ende steht etwas, das einen mit Stolz erfüllt. Mihály Csíkszentmihályi prägte hierfür die Bezeichnung Flow.
Um in diesen Zustand zu kommen, ist es wichtig, dass wir eine Tätigkeit ausüben, die zwischen Überforderung einerseits und Unterforderung andererseits liegt. Und genau hier drin liegt die Gefahr! Zum einen fühlen wir uns durch die vielen Vorschriften, Verordnungen und internen Arbeitsanweisungen zum Teil überfordert. Zum anderen sind in vielen Fällen Unterweisungen und Begehungen so langweilig und theoretisch, dass die meisten Mitarbeiter:innen nach wenigen Minuten abschalten und Arbeitssicherheit für nicht wichtig halten. Wenn es den deutschen Mitarbeitern schon so geht, wie empfinden es dann ausländische Mitarbeiter:innen?
Diesen angesprochenen Flow empfinden viele Menschen beispielsweise, wenn sie ihre Lieblingsmusik hören. Andere, wenn sie ganz versunken tanzen oder malen und andere, wenn sie sich konzentriert einer Sache widmen. Um dieses Gefühl erleben zu können, ist es wichtig sich mit etwas zu beschäftigen, das in irgendeiner Form die eigenen Stärken bedient.
R wie Relationships (positive Beziehungen)
Als soziales Wesen benötigt der Mensch die Interaktion mit anderen Menschen. Funktionierende Beziehungen, positive Erfahrungen mit anderen zu machen, trägt enorm zum Glücksempfinden bei. Dabei geht es nicht nur um die Partnerschaft oder die eigene Familie, auch zu wissen, dass man sich in der Not auf seine Freunde verlassen kann, dass es Kollegen gibt, die einen unterstützten, verstärkt die Zufriedenheit und Ausgeglichenheit. Sowas funktioniert natürlich nur auf Gegenseitigkeit. Die Beziehungen mit unseren Kolleginnen und Kollegen nehmen also einen starken Einfluss auf unsere mentale Gesundheit. Dies belegen zahlreiche Studien und so bildet dieser Aspekt einen wesentlichen Schwerpunkt in den Leitlinien zur psychischen Gefährdungsbeurteilung, welche wiederum Bestandteil des Arbeitsschutzgesetzes ist.
M wie Meaning (Bedeutung, Sinn, Sinnhaftigkeit)
Das M im PERMA-Modell lässt sich mit Bedeutung oder Sinn übersetzen. Wenn etwas für uns von Bedeutung ist, dann können wir unsere Werte, Wünsche oder Sehnsüchte darin wiederentdecken. Was ist für Sie von Bedeutung und wie gut können Sie dies einbringen? Empfinden Sie einen (höheren) Sinn in dem, was Sie tun?
Wer beim Arbeits- und Gesundheitsschutz zu dem Ergebnis kommt, dass das, was er tut, ihm Spaß macht, dass er das voller Überzeugung vertreten kann und anderen Menschen nützlich ist, wird seine Tätigkeit als bedeutsam einschätzen. Automatisch sind solche Menschen intrinsisch motiviert und erleben Sinnhaftigkeit. Umgekehrt kann es passieren, dass sich jemand mit der Sinnfrage auseinandersetzt und zu dem Ergebnis kommt, dass Arbeitsschutz etwas sinnloses enthält. Das mag zunächst frustrieren, kann aber ein Auslöser für Änderungen sein.
A wie Achievement/Accomplishment (Leistung, Zielerreichung)
Sich Ziele zu setzen und diese zu erreichen, ist im PERMA-Modell ein elementarer Punkt. Denn jedes erreichte Ziel ist eine Rückmeldung an das eigene Selbstvertrauen: Schau her, das habe ich geschafft. Dann schaffe ich auch das nächste Ziel.
„Null Arbeitsunfälle“ ist so ein Ziel, dass sich zwischenzeitlich viel Unternehmen gesetzt haben. Ein sehr lobenswertes Ziel!
Für die richtige Zielsetzung ist es wichtig, dass Sie sich realistische und konkrete Ziele setzen und diese gegebenenfalls überprüfen. Denn große Ziele müssen in den meisten Fällen auf viele kleinere Ziele heruntergebrochen werden, um zwischendurch nicht den langen Atem zu verlieren. Daher spielt immer auch eine Rolle, was Sie bereit sind, dafür zu tun? Welche Anstrengungen wollen Sie in Kauf nehmen, welche Kompromisse eingehen?
Versuchen Sie es einmal, Ihren Kolleg:innen Arbeits- und Gesundheitsschutz mit dem PERMA Modell näher zubringen. Macht Spass und bringt Abwechslung.
Viel Freude damit.
Ihr Friedrich Schneider